SWSG verwandelt Altbauwohnungen in teurere Sozialwohnungen

In der Nähterstraße 26 bis 30 in Stuttgart-Wangen will die SWSG im Herbst 2021 Modernisierungsmaßnahmen durchführen. Es handelt sich um die südliche Front der im Jahr 1918/19 durch den Architekten Albert Eitel errichtete „Kleinwohnungssiedlung“ in Wangen, die (erfreulicherweise) nach § 2 des Landesdenkmalschutzgesetzes unter Denkmalschutz steht.

 

Das Carré besteht nach Westen, Norden und Süden aus insgesamt zehn 4-stöckigen Mietshäusern, bzw. Aufgängen. Die Ostfront bilden zwölf einzeln vermietete 2-geschossige Reihenhäuser. Der geräumige Innenhof besteht aus einer großen Wiese mit vereinzelten Bäumen, einem erst vor kurzem errichteten Spielplatz. Obwohl die Fassaden der Häuser, als auch die Grünanlage im Hof, den Eindruck erwecken, dass mehr für die Instandhaltung getan werden müsste, kann man die Anlage mit einem Wort als einfach nur schön bezeichnen, als ein wertvolles Stück Wohnbaus für die Arbeiterschichten des frühen 20. Jahrhunderts.

Bild 1: Holzfenster im Treppenhaus

 

Bild 2: Schöne Handläufe im Treppenhaus der Wohnanlage

 

 

Bild 3: Neue Heizkörper…

 

Bild 4: … und Gasthermen

Die Mieten bewegen sich für Stuttgarter Verhältnisse noch im Bereich des Bezahlbaren. In der Nähterstraße 26 bis 30 liegen die Durchschnittsmieten noch unter 7,50 Euro. Die Treppenhäuser und Holzfenster wurden vor wenigen Jahren frisch gestrichen. Die Wohnungen sind überwiegend in gutem Zustand. Die Böden sind neu gemacht, die Bäder könnten moderner ausgestattet werden. Die Wohnungen verfügen über Gasetagenheizungen und zumindest zum Teil über moderne Heizkörper.

Anfang August ging den Mieterinnen in der Nähterstraße 26 bis 30 ein Schreiben der SWSG zu. In diesem werden den Mieter*innen umfangreiche, für den Herbst 2021 geplante Modernisierungen angekündigt. Es handelt sich um ein sehr allgemein gehaltenes Schreiben, dass keineswegs die Kriterien einer Modernisierungsankündigung nach §555c des BGB erfüllt. Die Mieterinnen und Mieter wurden zu Einzelgesprächen einbestellt, die auch schon überwiegend stattgefunden haben. Ärgerlich war dabei insbesondere, dass mit Verweis auf die Corona-Schutzmaßnahmen, den Mieter*innen nahegelegt wurde, sie sollten allein ohne Begleitung selbst von Angehörigen zum Termin erscheinen. Dies ist aus Sicht der Mieterinitiativen ein kritikwürdiges Vorgehen – unter dem Vorwand der Corona-Maßnahmen sollen die Mieter möglichst vereinzelt und ohne Rückhalt einer anderen Person mit den geübten Verhandler*innen der SWSG konfrontiert werden.

Mehr Mieter*innen mit WBS-Schein statt mehr bezahlbare Wohnungen

Die Ziele der SWSG wurden aus den Berichten der Mieter*innen von den Einzelgesprächen mit der SWSG deutlich. Sie folgen dem Verfahren, das bereits aus anderen Wohnanlagen bekannt ist, wie z.B. in der Abelsbergstraße in Stuttgart Ost. Alte im Moment noch bezahlbare Wohnungsbestände (die aus Denkmalschutzgründen zum Glück auch nicht abgerissen werden können) sollen modernisiert und in Sozialwohnungen umgewidmet werden. So steht es bereits in dem Schreiben, dass die Mieter der Nähterstraße erhielten. „Rückumzug möglich“ heißt es dort in Anlage 3, aber zwei Sätze später „Alle Wohnungen sind öffentlich gefördert – Wohnberechtigungsschein A erforderlich.“ Damit sind wir beim Kern des Problems der Vorgehensweise der SWSG angekommen.

Statt durch Neubau, unter Zuhilfenahme von Fördergeldern, Sozialwohnungen neu zu schaffen und damit einen Beitrag zu leisten, um Menschen aus der Notfallkartei des Amtes für Liegenschaften eine Wohnung zu verschaffen,  werden bereits bestehende Wohnungen aus dem bezahlbaren Mietpreissegment in Sozialwohnungen umgewandelt. Diese Sozialwohnungen sind dann teurer als die frei finanzierten Wohnungen vorher.

Klar, auch dadurch steigt zahlenmäßig und auf dem Papier die Zahl der Sozialwohnungen. Das Problem: in diesen neu „geschaffenen“ – das heißt umgewidmeten – Sozialwohnungen wohnen bereits Menschen und die sollen nach dem Willen der SWSG am besten nicht in ihre modernisierten Wohnungen zurückziehen, sondern entweder weiter verschoben werden in die nächste Altbauwohnung, deren Modernisierung ein paar Jahre später ansteht. Weil die Mieter*innen keine hohe Mieten bezahlen können, bekommen sie vorrangig frei gewordene Sozialwohnungen. Die Vergaberichtlinien der Stadt Stuttgart begünstigen dieser Verdrängungspoltik, indem Mieter*innen, die wegen Modernisierung oder Abriss ihre preisgünstigen Wohnungen verlassen müssen, bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugt werden und sofort eine Sozialwohnung erhalten.

Vielen Mieter*innen in der Nähterstraße mit denen wir gesprochen haben, hat die SWSG bereits im Einzelgespräch einen Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein vorgelegt. Die SWSG verschweigt den Mieter*innen bei der Umwandlung von Wohnungen in Sozialwohnungen, dass die Mieter*innen das Recht haben, diese Umwandlung abzulehnen. Es ist rechtlich völlig unhaltbar einen Mieter aus einer frei finanzierten Wohnung durch Modernisierung und Umwandlung in eine Sozialwohnung aus seiner Wohnung zu vertreiben. Die SWSG versucht dies aber immer wieder. Alle Mieter*innen haben das Recht ohne WBS in ihre Wohnung zurückzukehren. Darüber und über alle anderen Rechte hat die SWSG-Mieterinitiative die Mieter*innen in einer Mieterversammlung und in einem Flyer informiert.

Mieten werden durch Modernisierung steigen

Dieses Verfahren führt also keineswegs dazu, dass die Notfallkartei beim Wohnungsamt kleiner wird, sondern sie führt dazu, dass Mieter*innen, die bisher eine frei finanzierte Wohnung bezahlen konnten zu Sozialwohnungsmietern werden und dabei am Ende mehr Miete bezahlen. Wie kommt es zu dieser erhöhten Miete? Die Mieten in den Sozialwohnungen der SWSG betragen mindestens 7,70  Euro kalt pro m². Darüber hinaus aber besteht aber die Gefahr, dass die Mietpreise für die Mieter*innen in der Nähterstraße nach der Modernisierung netto noch weiter steigen und zwar durch steigende Betriebskosten. Aktuell sind die Warmmieten in der Nähterstraße nämlich deshalb relativ günstig, weil die Mieter*innen die Kehrwoche selber machen können und über eine Gasetagenheizung den Heizenergieverbrauch eigenverantwortlich regulieren können. Durch die von der SWSG geplante Modernisierung (Einbau einer Zentralheizung) und Fremdvergabe der Kehrwoche nach der Modernisierung, steigt die Warmmiete jedoch meist unverhältnismäßig an (bei gleichzeitig oft zweifelhafter Gründlichkeit in der Erledigung der fremdvergebenen Pflegeleistungen in der Gebäudereinigung und der Pflege der Grünanlagen).

Auch dieses Vorgehen ist im Übrigen nicht rechtens. Der Einbau einer Zentralheizung muss nicht geduldet werden und wer die Kehrwoche im Mietvertrag stehen hat, kann sie auch nach der Modernisierung weiter machen. Modernisierungsmaßnahmen ändern keinen Mietvertrag! Ebenso können die von der SWSG geplanten Grundrissveränderung von den Mieter*innen ebenfalls abgelehnt werden.

Was sagen die Mieter*innen?

Bei einer Mieterversammlung am 21.08.2020 äußerten sich viele Mieter insgesamt zufrieden über den Zustand der Wohnungen. Viele sagten sie wollten nicht umziehen. Berichtenswert ist der Fall eines 72-jährigen Mieters der vor 8 Jahren bereits von der SWSG zum Auszug aus seiner Wohnung bewegt wurde, als diese die Inselsiedlung modernisieren wollte. Damals hatte ihm ein Vertreter der SWSG versichert, dass ihm keinesfalls erneut ein solcher Umzug bevorstehe. Der 72-jährige sagte er sei es Leid von der SWSG wie ein Möbelstück versetzt zu werden: „Wie kann es sein, dass wir ausziehen sollen ohne mit uns zu sprechen. Das ist völlig undemokratisch“.  Einige Mieter*innen sind mit dem Vorgehen der SWSG einverstanden oder wollen ohnehin umziehen. Wir als Mieterinitiative versuchen allen  Mieter*innen klar zu machen, dass sie sich – egal ob sie in den Wohnungen wohnen bleiben wollen oder ohnehin umziehen wollen – nicht von der SWSG übervorteilen lassen sollen.

Mitsprache der Mieter*innen bei Modernisierung wird umgangen

Die Strategie der SWSG ist es die Mieter*innen in den zu modernisierenden Wohnungen möglichst „unbürokratisch“ in andere Wohnungen umzusetzen. Wohnungsangebote werden gemacht, Besichtigungen anberaumt und sobald ein*e Mieter*in sich zum Umzug bereiterklärt, wird ein Auflösungsvertrag für die bestehende Wohnung zur Unterschrift vorgelegt. Was dabei auf der Strecke bleibt und worüber die SWSG die Mieter*innen nicht von sich aus  informiert sind ihre erheblichen Rechte, die sie im Fall einer durch den Vermieter beabsichtigten Modernisierung haben. Tatsächlich kann der Vermieter in einem bestehende Mietverhältnis nicht einseitig in die Wohnung, also den Gegenstand des gültigen Mietvertrages, eingreifen.

Es gibt Modernisierungsmaßnahmen, die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch von den Mietern geduldet werden müssen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von baulichen Veränderungen die die Wohnung „in ihrem Wesentlichen Bestand“ verändern, also so tiefgreifende Eingriffe in die Mietwohnung vornehmen, dass sie sozusagen nicht mehr das Objekt wäre über das Mieter*in und Vermieter*in den Vertrag abgeschlossen haben. Was für Veränderungen das im Einzelnen sind, ergibt sich aus der Rechtsprechung der Vergangenheit und aus dem Vertragsrecht. Zum Beispiel werden Veränderungen des Grundriss, die Abschaffung von Gasetagenheizungen zugunsten von Zentralheizungen, die Abschaffung von Gasanschlüssen für den Betrieb von Kochherden, oder eben auch die Umwandlung in Sozialwohnungen in der Vergangenheit von Gerichten als nicht duldungspflichtig erklärt.

Duldungspflichtig oder nicht, muss der Vermieter, den Mieter*innen eine gesetzlich vorgeschriebene Modernisierungsankündigung zukommen lassen. Das ist ein detailliertes Schreiben, in dem laut Gesetz (BGB § 555c) 1. die Art und der voraussichtliche Umfang der Modernisierungsmaßnahme in wesentlichen Zügen, 2. der voraussichtlichen Beginn und Dauer der Modernisierungsmaßnahme, 3. der Betrag der zu erwartenden Mieterhöhung aufgeführt werden muss. Dies ist ein wichtiges Dokument für die Mieter*innen, denn erst aus einer vorschriftsmäßig ausgestellten Ankündigung, lässt sich ablesen, was genau der Vermieter eigentlich vorhat und wie es sich am Ende auf die Miete auswirkt. Auch lässt sich ablesen, ob der/die Vermieter*in Eingriffe in die Wohnung vorhat, die nicht geduldet werden müssen. Es gilt: ohne gesetzliche Modernisierungsankündigung – spätestens 3 Monate vor Beginn der Modernisierungsmaßnahme zugestellt – darf der Vermieter an der Wohnung nichts machen. Außerdem haben die Mieter*innen die Möglichkeit einen Härteeinwand gegen die Modernisierung einzulegen, wenn sie z.B. erkrankt sind und die Strapazen er Modernisierung nicht zumutbar wären.

Kurzum: Mieter*innen haben eine ganze Reihe von Mitsprachemöglichkeiten bei Modernisierung. Die Art und Weise wie die SWSG die Modernisierung gegenüber den Mietern ankündigt kritisieren wir scharf. In der Tat bezeichneten vielen der Mieter*innen das formlose Ankündigungsschreiben an die Mieter als „Kündigung“ – dabei handelt es sich nur um ein formloses Schreiben oder jeden rechtliche Wirkung. Wir fordern, dass die SWSG die Mieter*innen (die logischerweise keine Expert*innen im Mietrecht sind) über ihre Rechte aufklären muss, statt sie mit unvollständigen Informationen aus ihren Wohnungen hinaus zu drängen.

Ein Jahr Leerstand in der Laupheimer Straße 9f

Bild 5: Das Reihenhaus (90 m²) steht seit einem Jahr leer

Ein weiterer Missstand, der sich bei unseren Besuchen in der in der Wangener Kleinwohnungssiedlung auftat war, der fast 12-monatige Leerstand eines der Reihenhäusern an der Ostseite der „Kleinwohnungssiedlung“. Aus dem 2-stöckigen Reihenhaus mit ca. 90 m² war die letzte Mieterin im September 2019 ausgezogen. Eine 5-köpgige Familien mit 3 Kindern, die als Mieter*innen der SWSG im Häuserblock gegenüber in einer viel zu kleinen 3-Zimmerwohnung wohnen, hat sich mehrfach an die SWSG gewandt, um  zu erreichen in die frei werdende Wohnung in der unmittelbaren Nachbarschaft ziehen zu können. Die Mieterinitiative hat den Leerstand beim Amt für Liegenschaften als Verstoß gegen die Zweckentfremdungssatzung angezeigt und wird sich Druck machen für eine schnelle Wiedervermietung der leerstehenden Wohnung.