Stellungnahme zur Eröffnung des Reallabors Wohnen in Zuffenhausen-Rot

Die Mieter*inneninitiative Zuffenhausen lehnt den Abriss der Wohnungen
in der Fleiner Str. 1 – 15 und Rotweg 50 – 86 der Baugenossenschaft Neues Heim und
Baugenossenschaft Zuffenhausen und damit die Neubebauung und die Eröffnung des Reallabors Wohnen in Rot weiterhin ab.

(Offizielle Einladung zur Eröffnung des „Reallabors Wohnen“: Einladung_Eröffnung Reallabor Wohnen_08.07.21-2)

Wir können nicht nachvollziehen, warum hier jetzt in einem „offenen, partizipativen Prozess“ erprobt werden soll, wie „bezahlbarer und bedarfsgerechter Wohnraum“ in einem zukunftsfähigen Quartier geschaffen werden kann.

Häuserareal, das abgerissen weden soll  In der Bildmitte das Areal, das abgerissen werden soll. Zwischen Schozacher Straße, Fleiner Straße und Rotweg. Foto aus der Stuttgarter Zeitung, 02.05.2021

 

Die Antwort gibt uns die katastrophale Wohnsituation gerade in Stuttgart doch schon lange. Stuttgart ist Deutschlands teuerste Großstadt. Fast jede*r zweite*r Mieter*in muss mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Miete ausgeben. Durch die Pandemie hat sich die Situation noch verschärft.

Nicht bezahlbarer, sondern für alle Menschen leistbarer Wohnraum ist gefragt. Leistbarer Wohnraum, der in den Häusern der Baugenossenschaften, die in den frühen 1950er Jahren gebaut wurden, noch zu finden ist.

In Stuttgart findet in großem Umfang eine Gentrifizierung statt, d.h., Menschen werden wegen Abriss der Häuser aus ihren Wohnungen, ihrem sozialen Umfeld, ihrer Heimat ver- und an den Rand gedrängt, wo es noch Wohnungen gibt, für die ihr Einkommen gerade noch reicht. Denn die Wohnung im Neubau, der dort entstanden ist, wo sie Jahrzehnte gut und gerne gelebt haben, können sie sich nicht mehr leisten. Wer verdrängt wurde, hat mehr als seine Adresse verloren und der Stadtbezirk verliert nach und nach sein ursprüngliches Gesicht.

Wir meinen, dass die Baugenossenschaften mit ihren Mieter*innen in einem ständigen Austausch stehen und sich mit ihnen zusammensetzen und beratschlagen sollten, wie die Wohnsituation im Bestand ist, ob, was und wie etwas geändert werden kann. So hätte auch in diesem Fall die Argumentation der schlechten Bausubstanz und unzeitgemäßen Grundrisse, die nun zum Abriss führen soll, entkräftet werden können. Vielleicht hätte die Bausubstanz im Laufe der Jahrzehnte verbessert werden, sicher hätten Wohnungen zusammengelegt, Grundrisse verändert werden können.

Wer wenig Geld hat, ist auch über eine kleine Wohnung froh, wer jahrelang eine Wohnung gesucht hat, ist dankbar, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Wie man zusammenlebt, als Nachbar*innen, im Quartier, – wie man seinen Alltag gestaltet, wie man leben möchte – das wissen die Mieter*innen, dazu brauchen sie kein Reallabor. Was sie brauchen, ist die Möglichkeit der Mitbestimmung von Anfang an als Mitglied in einer Baugenossenschaft, nicht erst, wenn die eigentlichen Entscheidungen schon gefallen sind.

Der Stuttgarter Gemeinderat hat im Dezember 2019 das Aktionsprogramm „Weltklima in Not – Stuttgart handelt“ beschlossen. Angesichts der Klimakatastrophe und deren Folgen, an denen wir heute schon zu leiden haben, sind hier auch die Baugenossenschaften, die Stadtplanenden gefragt.

Mittlerweile ruft der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) zu einem Perspektivwechsel in der Architektur auf: „Für das Vorhandene aktiv Sorge zu tragen, das Bestehende mit Ideen für ein zukunftsfähiges Zusammenleben weiterzubauen, ist Kern einer reduktiven Strategie in der Architektur. Das Postulat im BDA-Positionspapier ‚Das Haus der Erde‘ ist angesichts der planetarischen Grenzen dazu eindeutig: ‚Dem Erhalt des Bestehenden kommt Priorität zu.‘“

Am 12.06.2021 fand der 16. BDA Tag statt – auch in Stuttgart unter dem Motto:
„Kreatives Unterlassen. Bauen nach dem Wachstum“. Bei der ernsthaften Auseinandersetzung und Diskussion um die Schonung der Ressourcen besteht keine andere Wahl als das kreative Unterlassen, die Wahrung des Bestands. „Beton, vor allem Zement und viele andere Baumaterialien – sowie das Bauen an sich – sind für einen großen Teil der CO2-Emmissionen verantwortlich. Die Stadt, [die Stadtbezirke, der Bestand an Häusern in Rot] bietet die größte und nachhaltigste unserer Ressourcen und sollte aktiv genutzt werden. [Es geht nicht um Stillstand, sondern] um intelligente Lösungen, als blanke Notwendigkeit der Schonung unserer Ressourcen, für eine lebenswerte Zukunft.“*

Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware. Wohnen ist Aufgabe der Daseinsvorsorge.
Wohnen ist sozial, solidarisch, ökologisch und nachhaltig in gemeinsamer Zusammenarbeit zwischen Baugenossenschaften und Mieter*innen möglich – und damit der Erhalt leistbaren Wohnraums und das Recht auf das Wohnenbleiben in der vertrauten Wohnung.

Zuffenhausen, den 06.07.2021
Mieter*inneninitiative Zuffenhausen

*Zitiert wurde von der Seite: BDA – 16. BDA-Tag 2021
Kreatives Unterlassen. Bauen nach dem Wachstum
https://www.bda-bund.de/bda-tag/?fbclid=IwAR2L9fFmhC3Od6z0LRmu0c-tVMGS9TIyU96aX3cLlkwqI5c9hzbtgvva1hk#einf%C3%BChrung (05.07.2021)

Stellungnahme als pdf: Stellungnahme Mieter_inneninitiative – Reallabor Wohnen Rot, 8.7.21

Die Fotos sind Eindrücke aus dem Wohngebiet, das jetzt für das Reallabor Wohnen vorbereitet wurde.